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24. Juni 1953 (Mittwoch)

Pressestimmen West:

Unter der Überschrift "Die Briten an die Front" kritisiert Herausgeber Jens Daniel alias Rudolf Augstein im "Spiegel" die amerikanische Deutschlandpolitik und die Wiedervereinigungspolitik des Kanzlers: Das State Department habe lediglich "einen brauchbaren Plan, der auf der deutschen Spaltung basierte; es hatte keine brauchbare Alternative für eine Wiedervereinigung der beiden Deutschland. Denn natürlich konnte es unter ernsthaften Leuten den Sowjets nicht zugemutet werden, die von ihnen besetzte Zone Deutschlands zu räumen, wenn dafür amerikanische Panzer an der Oder, wo nicht gar an der Weichsel auftauchen sollten". Zur Adenauer-Politik schreibt Augstein: "Man mag es hinüberlegen, man mag es herüberlegen, es bleibt dabei, daß die Politik des Kanzlers die Wiedervereinigung aufschiebt bis zu einem reellen Zusammenbruch des gesamten sowjetischen Systems, was immer ihn bewirken könnte. Das ist keine Politik, das ist Lotterie." Augstein plädiert für Verhandlungen mit den Sowjets, in denen die Deutschen die EVG fallen lassen sollten zugunsten eines separaten Militärbündnisses mit Frankreich und Großbritannien (ein neues "Locarno"), das mit der NATO direkt nichts zu tun hätte: Nicht die Bundestagswahl, dies sei die "wahre Entscheidung des Jahres 1953".

Die "Neue Zeitung" aus Berlin gedenkt unter der Überschrift "Das Gelöbnis" den Toten des Aufstands: "Wie von einem Erdbeben verschlungen wäre innerhalb weniger Stunden die ganze sogenannte "Regierung der Deutschen Demokratischen Republik", für immer von der Bühne des Geschehens verschwunden, wenn nicht die sowjetischen Panzer und die sowjetischen Maschinengewehre gewesen wären. Vorbei sind die Chancen der Sowjets, der Weltöffentlichkeit ihre in der Leipziger Straße residierenden Figuren als eine vom Willen des Volkes legitimierte Regierung vorzustellen. Vorbei ist für den Kreml die Illusion, daß man einen jungen Deutschen nur in eine Vopo-Uniform zu stecken brauche, um aus ihm eine zu allem brauchbare Kreatur zu machen. Auch mancher im Sowjetpanzer sitzende Russe mag erschüttert gewesen sein angesichts der Tatsache, daß er auf waffenlose Arbeiter schießen sollte, auf Menschen also, zu deren Befreiung angeblich das Sowjetsystem einen geschichtlichen Auftrag übernommen hat. Der Juni 1953 hat Fragen geklärt, die keine noch so gute Rede eines Staatsmannes und kein noch so ausführlicher Notenwechsel so stark, so überzeugend, so verpflichtend hätte beantworten können. Wir danken den Opfern der Juni-Tage eine Offenbarung von weltgeschichtlichem Rang. Das Ideal der Freiheit siegt über die Drohung der Bajonette, der Ruf nach der Wiedervereinigung aller Deutschen in Freiheit über die achtjährigen kommunistischen Verdrehungskünste."

"Der Tag" aus Berlin kommentiert den "Schwur von Berlin", die Ehrung der Toten vor dem Rathaus Schöneberg vom Vortag: "Der Bundeskanzler, der ein Mann der Pflicht ist, wußte, daß sein Platz gestern in Berlin sein mußte. Mit ihm und mit Minister Kaiser, der seit dem 17. Juni bereits in Berlin weilt, war die Bundesrepublik in unserer Stadt anwesend - Teilhaber unserer Trauer, aber auch Träger der Hoffnung aller hinter dem Eisernen Vorhang unterdrückten Deutschen, die sich auf die Bundesrepublik als den Kernstaat unseres deutschen Schicksals richtet. Neben den Repräsentanten der Bundesrepublik hat der Regierende Bürgermeister Reuter der ihm vertrauten Stimme Berlins Gehör verschafft. Der Bundeskanzler hat, so glauben wir, die geschichtliche Kraft verspürt, die der 17. Juni für Deutschland und die freie Welt ausströmt. Er hat seine Ansprache vor den Särgen der Gefallenen mit dem großen Schwur geschlossen, den wir alle auch als eigene Verpflichtung übernehmen, nicht zu ruhen, bis Deutschland in Einheit und Freiheit wiederhergestellt ist. Berlin und die Zone danken ihm hierfür. Aber wir haben auch den Wunsch, daß er keinen Weg ungeprüft und keine Mittel unversucht läßt, die geeignet sein könnten, das große Ziel mit Vorrang vor den anderen Notwendigkeiten deutscher Politik zu verwirklichen."

"Die Welt" befaßt sich unter dem Titel "Abtreten!" mit den SED-Maßnahmen zu Erhöhung des Lebensstandards in der DDR: "Wenn also jetzt das Zentralkomitee der SED versucht, die Bevölkerung mit Konzessionen auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet zu beruhigen, so beweist es damit, daß es nicht weiß, was in der Bevölkerung der Ostzone in Wahrheit vorgegangen ist und auch heute noch vorgeht. Es kennt nicht ihr Denken. Es begreift nicht den Haß, der sich angesammelt hat. Das Zentralkomitee wirft seinen kleinen Funktionären vor, daß sie bisher zuviel hinter ihren Schreibtischen gesessen haben und über ihren Berichten verabsäumt hätten, die Arbeiterschaft über die Ziele der Regierungspolitik ausreichen aufzuklären. In Zukunft müsse dies stärker sein. Glaubt das Zentralkomitee wirklich, saß seine Emissäre das Mißtrauen des Volkes und die sich aus diesem ergebende Ablehnung des Regimes durch einen Wortschwall beseitigen könnten?"

Pressestimmen Ost:

Die "Tägliche Rundschau" geht in ihrem Kommentar "‚Tag X' - eine verfehlte Spekulation" auf die westdeutschen "intellektuellen Urheber" des 17. Juni ein: "Um etwas trauern diese Manager des Verbrechens der vergangenen Woche allerdings - aber nicht um ihre Opfer, sondern darum , daß der 17. Juni nicht zum lang ersehnten, lang vorbereiteten "Tag X" geworden ist, der einen neuen Kriegsbrand in Europa entfachen sollte im gleichen Augenblick, da der Kriegsbrand in Korea zu erlöschen schien. Genau wie Hitler 1933 vor seinem Überfall auf Polen deutsche Agenten in polnische Uniformen steckte und den Sender Gleiwitz überfallen ließ, um einen "Kriegsgrund" zu konstruieren, genauso schickten die Drahtzieher der Vorgänge in der vergangenen Woche ihre Agenten und Spione in Bauarbeiterkleidung in die Straßen von Berlin, um die Unzufriedenheit eines Teils der Bevölkerung auszunutzen und einen sogenannten "spontanen Volksaufstand" zu konstruieren. [...] Alle diese Pläne sind fehlgeschlagen. Ihre Urheber stehen vor der ganzen Welt entlarvt. Der 17. Juni wird als ein neuer "dag of dupes", d. h. als ein Tag der entlarvten Betrüger, in die Geschichte eingehen. Adenauer hat abermals eine schwere Niederlage erlitten. Seine Kriegs- und Spaltungspolitik trägt die moralische und politische Schuld an den letzten Ereignissen."

Das "Neue Deutschland" beschäftigt sich in "Adenauers Banditenstreiche gegen die Verständigung" mit westdeutschen Lenkungsmanövern beim Aufstand: "Aufschlußreich zur Entlarvung der Hintermänner ist auch, wie "programmgemäß" von Westberlin aus die Aktionen im demokratischen Sektor von Berlin und der Deutschen Demokratischen Republik gelenkt wurden. Einer der Hauptverantwortlichen für die Auslösung des "Tages X", Jacob Kaiser, der bereits seit Jahr und Tag an dieser Aufgabe arbeitete, veröffentlichte bereits wenige Stunden nach dem Beginn einzelner Aktionen der Bauarbeiter über den Rias einen provokatorischen "Aufruf" an die Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik, in dem er zu Pogromen und Gewaltakten aufforderte. Der "Aufruf" Kaisers diente den in den sowjetischen Sektor Berlins eingedrungenen faschistischen Banditen als Anweisung zu ihren Plünderungen und Brandstiftungen, die kurze Zeit danach auch prompt durchgeführt wurden. Die Durchführung aller provokatorischen Ausschreitungen der faschistischen Rowdys lag bei den vom Kaiser-Ministerium geschaffenen Diversionsorganisationen, in erster Linie bei der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit", die selbst vom "Telegraf" im November 1952 als Organisation für Spionage und Diversion gekennzeichnet wurde."





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